Wundmanager und Pflegefachexperte

Gerhard Schröder, Leiter der Akademie für Wundversorgung Göttingen: „Bei gefährdeten Personen sollten Angehörige die Hautstellen, die mit Druck belastet sind, zweimal täglich, morgens beim Waschen und abends vor dem Schlafen, dahingehend kontrollieren, ob Verfärbungen wie Rötungen vorliegen.“

Gerhard Schröder leitet die Akademie für Wundversorgung, Göttingen. Er gilt als Wundexperte, ist Autor zahlreicher Publikationen zum Thema Dekubitus und Wundversorgung und als Referent in der Aus- und Weiterbildung für Pflegefachkräfte engagiert. Mit ihm haben wir über die Versorgung von Dekubitalgeschwüren gesprochen.

Sagen Sie dem Arzt klar und deutlich: Ich hätte gerne, dass ein Wundexperte auf die Wunde mit draufschaut!

Interview mit Gerhard Schröder

Herr Schröder, als anerkannter Wundexperte sind Sie mit der Entstehung von Dekubitalgeschwüren und deren Vorbeugung bestens vertraut. Erklären Sie uns kurz, wie entsteht ein Druckgeschwür?

Ein Dekubitalgeschwür entsteht im tiefen Gewebe, seine Entstehung ist äußerlich nicht sichtbar. Hauptursache für ein Dekubitalgeschwür ist hoher Druck, der lange auf die Haut einwirkt. Vorerkrankungen begünstigen die Entstehung ebenso wie bereits vorhandene Hautschädigungen, z. B. durch Feuchtigkeit wie Urin und Schwitzen. Wie lange ein Druckgeschwür von der Einwirkung auf das Gewebe bis zur Entstehung benötigt, ist nicht genau bekannt. Generell geht man davon aus, je schlechter die Bewegungsfähigkeit und je schlechter der Allgemeinzustand des Patienten ist, umso schneller kann ein Dekubitus entstehen, bei Schwerkranken sogar innerhalb weniger Stunden.

Woran erkenne ich als Laie, dass ein Druckgeschwür bei meinem Angehörigen droht?

Ein Risiko besteht immer dann, wenn die eigene Beweglichkeit eingeschränkt ist, z. B. durch altersbedingte Erkrankungen, Nebenwirkungen von Medikamenten oder Lähmungen, umso mehr, wenn Fieber, Harn- und/oder Stuhlinkontinenz bestehen, oberflächliche Hautverletzungen vorhanden sind und die Hautelastizität nicht mehr so gegeben ist wie bei intakter Haut. Immobilität ist also der Kernfaktor, woran man erkennt, dass jemand gefährdet ist und als Pflegender muss ich wahrnehmen, wenn die Mobilität bei meinem Angehörigen abnimmt. Hier gilt zu unterscheiden: Menschen, die liegen, sich im Bett aber selbstständig bewegen und drehen können, haben ein geringeres Risiko als Menschen, die z. B. im Rollstuhl sitzen und sich nicht mehr bewegen können. Bei gefährdeten Personen sollten Angehörige die Hautstellen, die mit Druck belastet sind, zweimal täglich, morgens beim Waschen und abends vor dem Schlafen, dahingehend kontrollieren (Hautinspektion), ob Verfärbungen wie Rötungen vorliegen. Dafür eignet sich der Fingertest: Man drückt mit dem Finger in die Rötung hinein. Wenn Schmerzen ausgelöst werden und die Rötung rot bleibt, sie sich also nicht mehr wegdrücken lässt und sich das Gewebe dort im Untergrund verändert anfühlt (härter als die Umgebung) liegt ein Dekubitus Grad 1 vor. Wenn man die Hautinspektion regelmäßig macht, ist man in der Lage, Unterschiede zu fühlen.

 

Es ist eine Wunde aufgetreten, was nun?

Das Auftreten einer Wunde muss man sehr ernst nehmen und von Anfang an schauen, dass der Zustand nicht schlimmer wird. Denn Wunden können bis auf den Knochen reichen, das ist fatal. Bei einer auftretenden Wunde muss es sich aber nicht immer um ein Druckgeschwür handeln. Möglicherweise liegt auch eine oberflächliche Hautabschürfung vor, die durch Reibungskräfte bei der Lagerung oder dem Transfer von immobilen Menschen auftreten kann. Ein Dekubitalgeschwür entsteht dadurch schneller. Hat der Pflegebedürftige eine Hautverletzung, sollten Sie umgehend den Pflegedienst oder Hausarzt informieren, wobei sich viele Ärzte mit Druckproblemen weniger auskennen, als ein versierter, fachkundiger Pflegedienst. Haben Sie dabei keine Scheu, das Problem anzusprechen, das Auftreten der Wunde muss nicht darauf hindeuten, dass ihr Angehöriger falsch versorgt wurde. Machen Sie die Angelegenheit dringend, denn rasches Handeln ist beim Auftreten einer Wunde geboten.

Kann man auf die Beratung und Begleitung durch einen zertifizierten Wundexperten bestehen? 

Bestehen können Sie darauf nicht, aber Ihren Arzt danach fragen. Der erste Schritt geht immer über den Arzt, denn er muss die Pflege und Versorgung von Wunden verordnen. Und jede ärztliche Versorgung ist ein Verhandeln. Als betroffener Angehöriger müssen Sie Vertrauen haben, Ihre Wünsche mit dem Arzt besprechen, ihm deutlich mitteilen: „Ich hätte gerne, dass ein Wundexperte auf die Wunde mit draufschaut.’ Vielleicht kennt der Arzt auch jemanden, den er Ihnen empfehlen kann. Und wenn er die Bitte ablehnt, fragen Sie ihn nach seinen Gründen dafür.

An wen können sich Menschen wenden, die eine phasengerechte Wundversorgung in Anspruch nehmen wollen?

Sie können sich an Pflegedienste der Wohlfahrtspflege oder private Pflegedienste wenden, die auch für Wundversorgung eine Zulassung haben, denn viele Pflegedienste bieten nur eine Grundversorgung. Wichtig ist, dass Ihr künftiger Pflegedienst Kompetenz im praktischen Bereich vorweisen kann, dekubituserfahren ist, ausreichend Fachkenntnisse besitzt und sich mit der Versorgung auskennt. Fragen Sie den Pflegedienst, ob er auf Wundversorgung spezialisiert ist. Ein neues Gesetz besagt, dass Pflegedienste künftig die Spezialisierung nachweisen müssen. Das ist in den Strukturen in Vorbereitung. Wenn es so weit ist, ist das für pflegende Angehörige eine gute Sache. Im Grunde können Sie davon ausgehen, dass ein Pflegedienst, der spezialisiert ist auf Wundversorgung, zur Versorgung von chronischen Wunden nur Mitarbeiter zu Ihnen schicken darf, die eine spezielle Ausbildung haben.

Wir können in Kursen der Akademie für Wundversorgung zwar Fachwissen vermitteln, aber eine Haltung entwickeln müssen die Pflegekräfte selbst. Die ist längst nicht bei allen vorhanden. Ich sehe in Krankenhäusern, dass jemand gewaschen wird bei offener Zimmertür. So möchte doch kein Mensch gewaschen werden. Als Angehöriger haben Sie die Möglichkeit, Ihre Wünsche mit Wertschätzung der Pflegekraft gegenüber anzusprechen.

 

Die Behandlung eines Druckgeschwürs ist mit Schmerzen und Einschränkungen verbunden, mitunter langwierig und bringt weitere Gesundheitsrisiken mit sich. Seine Entstehung ist darum unbedingt zu vermeiden. Doch eine sorgfältige Dekubitusprävention erfordert Kenntnisse. Wie wichtig sind Schulungen und Qualifizierungen für pflegende Angehörige?

Aus meiner Erfahrung sehr wichtig. Vor allem das praktische Anleiten, z. B. das Ihnen jemand zeigt, wie Sie Ihren Vater auf die Seite lagern können und ihn aus dem Bett bekommen. Bitten Sie darum den Arzt, dass er eine Verordnung für eine Beratung durch den Pflegedienst ausstellt. Dann zeigt Ihnen eine Pflegefachkraft, die zu Ihnen kommt, wie sie es richtig machen. Darauf haben Sie Anspruch, und das kann der Arzt rezeptieren. Man macht die verschiedenen Handgriffe dann gemeinsam und das Ziel ist, dass Sie diese möglichst selbst übernehmen und Sicherheit gewinnen. Wenn Sie als pflegender Angehöriger Sorge oder Angst haben, es nicht richtig zu machen, haben Sie den Mut, es der Pflegefachkraft zu zeigen: So habe ich es gemacht, schauen Sie mal, ob das richtig ist. So reflektiert man die eigenen Fähigkeiten besser und begreift sein Tun nicht bloß als formalen Akt, sondern kann sagen: ,Schön, dass sie heute da sind, ich würde gerne dies und das mit ihnen besprechen.’

 

Welche Pflegefehler werden von Angehörigen am häufigsten gemacht?

Da fallen mir spontan zwei Dinge ein: Erstens, wenn man annimmt, ein Dekubitus entsteht in der Haut, denn das ist falsch, ein Dekubitus entsteht in der Tiefe des Gewebes. Viele glauben auch, durch Hautpflege mit Cremes, Tinkturen o. ä. könnte ein Dekubitus verhindert werden, aber das stimmt nicht. Eincremen ist wichtig, verhindert ursächlich aber keinen Dekubitus. Sie dürfen auch keine Durchblutungsförderung durchs Eincremen oder das Einreiben z. B. mit Franzbranntwein erwarten. Sie müssen an der Ursache ansetzen und Druck auf das Gewebe verhindern.

Der zweite Fehler ist, wenn man denkt: Sitzen ist besser als Liegen. Manche sitzen dann stundenlang im Rollstuhl oder auf einem Stuhl. Aber der Druck auf das Gesäß ist im Sitzen erheblich höher als im Liegen. Sitzen ist wichtig, aber wenn, dann muss der Sitz mit speziellen Kissen gepolstert sein und das Sitzen sollte zwei Stunden nicht überschreiten, wenn man sich selber nicht bewegen kann.

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