Wenn ich die äußeren Umstände nicht verändere, kann die Wunde nicht besser werden
Brigitta Kowollik war viele Jahre als Wundfachberaterin tätig und hat Fortbildungen zur Dekubitusprophylaxe und -therapie geleitet. Wenn Patienten in Senioren-/Pflegeheimen eine Wunde hatten, dann wurde sie gerufen, um die richtige Versorgung einzuleiten.
Dabei traf sie zumeist auf pflegebedürftige Menschen in schlechten Versorgungssituationen, die sie in jedem individuellen Fall versucht hat zu verbessern. Davon berichtet sie uns im Gespräch. Aber auch von ihren ganz aktuellen Erfahrungen. Denn ihre eigene Mutter ist pflegebedürftig und lebt derzeit im Pflegeheim
Wenn ich die äußeren Umstände nicht verändere, kann die Wunde nicht besser werden.
Interview mit Brigitta Kowollik
Frau Kowollik, Sie wurden als Wundfachberaterin erst zum Patienten gerufen, wenn bereits eine Wunde vorhanden war. In welcher Versorgungssituation fanden Sie die Patienten größtenteils vor?
In sehr unterschiedlichen Situationen: Ich traf sowohl auf alleinstehende, unversorgte Patienten als auch auf liebevoll in die Familie eingebettete Menschen. Es war alles dabei. Manchmal waren schon erste Schritte zur Wundversorgung getan, häufig aber nicht, was mir recht war, weil ich dann die möglichst richtigen Maßnahmen einleiten oder bereits vorhandene korrigieren konnte.
Wie haben Sie Einfluss auf die Dekubitustherapie genommen? Was haben Sie verbessert?
Meine Aufgabe war es, eine Therapieempfehlung zu erarbeiten und mit dem behandelnden Arzt abzustimmen. Dabei war ich eigentlich nur für die Wundbehandlung zuständig. Aber die Wundheilung ist natürlich stark davon abhängig, inwieweit man den Auflagedruck reduziert, und so habe ich auf die erforderlichen Hilfsmittel, wenn möglich, Einfluss genommen. Auch habe ich, wenn noch nicht vorhanden, Hilfsmittel ausgewählt, oder, falls vorhanden, unter Umständen auch korrigiert. Wenn noch nicht vor Ort, für einen Pflegedienste gesorgt und manchmal auch Krankenhauseinweisungen vorgeschlagen. Vor allem habe ich den Patienten fortlaufend betreut, je nach Schweregrad der Wunde einmal wöchentlich oder auch alle zwei bis drei Wochen, und dabei meine Besuche, wenn möglich, mit dem Pflegedienst zusammengelegt, damit wir erforderliche Maßnahmen abstimmen und unsere Erfahrungen austauschen konnten. Das ist sehr wichtig, um eine adäquate Wundversorgung zu gewährleisten und ineffektiven Materialverbrauch zu verhindern.
In der Dekubitustherapie gibt es unterschiedliche Aussagen darüber, ob eher Wechseldruck- oder Weichlagerungsmatratzen die Dekubitustherapie besser unterstützen. Wie sind Ihre Erfahrungen diesbezüglich?
Ich muss einen Patienten auf einer Weichlagerung in regelmäßigen Abständen umlagern, aber oftmals sind Patienten nicht lagerungsfähig, entweder wegen ihrer Krankheit wie etwa COPD oder auch aufgrund ihrer geringen Restmobilität. Dann lagert man den Patienten, und er lagert sich eigentlich sofort wieder zurück. Eine Weichlagerung ist in solchen Fällen nicht ausreichend, ja sogar wundfördernd. Bei Wechseldruckmatratzen kann man das Lagerungsintervall deutlich verlängern, vor allem auf sehr hochwertigen Matratzen, beispielsweise mit einem 3-Kammer-System. Aufgrund der Wertigkeit der Matratzen sind natürlich auch die Preise unterschiedlich. Ich habe mal ein Rezept für eine Wechseldruckmatratze für einen Patienten ausstellen lassen, und das Sanitätshaus hat dieses von sich aus auf eine Weichlagerung umgeändert. Da kann man wohl Kostengründe unterstellen. Weichlagerungssysteme sind in ihrer Lebensdauer begrenzt und die Qualität ist komplett unbestimmt. Auch die Auswirkungen der Liegedauer, die nötigen Umlagerungsintervalle, das Alter der Matratze und die sehr unterschiedlichen Materialien und ihre Auswirkungen werden erheblich unterschätzt. Bei Wechseldruckmatratzen treten ab und zu technische Probleme auf, und so sollte man sich mit diesen Geräten auskennen und sie vor allem überwachen. Nur weil sie unter einem Patienten liegt kann man sich nicht in Sicherheit wiegen.
Aber ich möchte hier kein Plädoyer für die Wechseldruckmatratze halten oder gegen Schaumstoff-Weichlagerungsmatratzen wettern. Denn die Entscheidung, ob eine Wechseldruck- oder Schaumstoffmatratze für einen Patienten besser geeignet ist, hängt allein von der persönlichen Situation des Patienten ab. Ich habe Weichlagerungsmatratzen durchaus empfohlen.
Das häufigste Problem, dem ich in diesem Zusammenhang begegnet bin, ist die Beratung aus der Ferne‘. Es kommt kein Mitarbeiter des Hilfsmittel-Dienstleisters vorbei, um sich die Situation vor Ort anzusehen, und die individuellen Probleme des Patienten zu erfassen. Ich denke, der ,finanzielle Würgegriff‘ vieler Krankenkassen, die Verträge mit den Sanitätshäusern vereinbaren, die auf extrem niedrigen Pauschalen beruhen, sind der Grund dafür. Dieses Verhalten widerspricht dem ordentlichen Vorgehen bei einer bedarfsgerechten Patientenversorgung, ist aber leider nur allzu oft Realität.
Die Folgen eines Dekubitus sind schlimm für Betroffene und enden meist im Krankenhaus. Warum wird aus Ihrer Sicht nicht mehr in die Prävention investiert, also in Schulung, Fortbildung und Hilfsmittel?
Möglicherweise, weil nicht genügend Aufklärungsarbeit in Sachen Dekubitusprophylaxe und -therapie geleistet wird. Es gibt einfach nicht ausreichend fachliche und neutrale Informationen, abseits wirtschaftlicher Interessen, die sich an pflegende Angehörige richtet wie auch an das Pflegepersonal in Einrichtungen, um für mehr Kompetenz und Transparenz zu sorgen. Ein Portal wie dieses ist längst überfällig. Denn klar ist: Man muss sich eigene fachliche Kompetenzen aneignen, sonst ist man abhängig vom Urteil anderer. Außerdem lege ich die Verantwortung in andere Hände.
In meiner aktiven Berufszeit ist mir eine Menge Unwissenheit begegnet. Z. B. Gerüchte über den Einsatz von Wechseldruckmatratzen, die man angeblich nicht verwenden soll, weil sie Spastiken verursachen, die Knochen brechen können oder es gar verboten sei, sie einzusetzen. Das muss man sich mal vorstellen! Solches Unwissen zeigt die Wissenslücken zum Thema Dekubitus in der Pflege auf, und diese müssen schleunigst behoben werden, will man das Dekubitusrisiko senken.
Meiner Ansicht nach gibt es ein Überangebot an Maßnahmen, wenn die Wunde da ist, aber so gut wie nichts Hilfreiches, um der Entstehung eines Druckgeschwürs vorzubeugen. Über Lagerungsmaßnahmen und wann man sie einsetzt gibt es genügend Informationen. Aber inhaltlich müssten Fortbildungen Hilfsmittelversorgungen thematisieren, die in den einzelnen Risikostadien vonnöten sind. Klar ist, wenn die Lagerung nicht mehr ausreicht, brauche ich ein Hilfsmittel. Ich würde an dieser Stelle auch gerne in Deutschland agierende Institutionen aufrufen, sich mehr mit diesem Thema zu beschäftigen.
Ihre eigene Mutter wohnt auch im Pflegeheim. Welche Erfahrungen haben Sie dort gemacht, vor allem in Hinblick auf die Dekubitusprophylaxe?
Da kann ich Ihnen ein ganz aktuelles Beispiel nennen: Meine Mutter äußerte sich mehrfach über Schmerzen im Gesäß während des Sitzens, seitens des Pflegepersonals gab es auf diese Beschwerden jedoch keine Reaktion, es wurde kein Sitzkissen für sie bestellt. Da bin ich natürlich selbst aktiv geworden, habe ein passendes Sitzkissen ausgewählt und besorgt und dem Pflegepersonal sogar Funktion und Technik vorgestellt. Sie waren begeistert und dachten gleich an eine weitere Bewohnerin, für die diese Versorgung auch infrage käme, äußerten aber gleichzeitig, ,so etwas zahlt die Kasse sowieso nicht.‘ (vorausgaloppierender Gehorsam). Nachdem meine Mutter auf diesem Sitzkissen den Tag verbringt, äußert sie keine Beschwerden mehr. Das Pflegepersonal ist aber nicht mehr auf mich zugekommen zwecks weiterer Informationen und ich vermute, die Bewohnerin, die ein solches Sitzkissen auch nötig gehabt hätte, hat von diesem Hilfsmittel nie erfahren. Dabei ist ihre Mobilität davon abhängig. Dieses Beispiel kann vielleicht veranschaulichen, wie wichtig es ist, sich selbst zu informieren, die Initiative zu ergreifen und zu schauen, wo informiere ich mich, wo finde ich kompetenten Rat, ohne den wirtschaftlichen Interessen einzelner Hersteller zu gehorchen? Man kann gar nicht früh genug anfangen, sich zu informieren, denn man wird nicht von jetzt auf gleich zum Fachberater.
An dieser Stelle vielleicht noch einen praktischen Hinweis zu Antidekubitus-Sitzkissen: Je niedriger der Preis, desto niedriger die Sicherheit, je höher der Preis, desto höher die Sicherheit. Die Preisspanne bewegt sich von 100 – 700 €.
Und vielleicht noch ein Ratschlag: Die Pflegekraft sollte versuchen, einen Wundverlauf im Auge zu behalten. Wird die Wunde besser, mache ich mit meinen Maßnahmen weiter. Wird sie nicht besser, und Besserung ist immer meine Erwartungshaltung, sollte auch die Pflegekraft in der Lage sein, Maßnahmen zu überprüfen. Also auch die unter Umständen mitwirkenden auswärtigen Berater.
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